Mandibuläre & maxilläre Prognathie: Ursachen, Folgen & Behandlungsmethoden
Prognathie klingt zunächst kompliziert und nach einer äußerst seltenen Krankheit. Aber ganz sicher kennen Sie sogar mindestens einen prominenten Vertreter mit diesem Krankheitsbild: So litten einige Familienangehörige des Adelsgeschlechts der Habsburger an dieser Dysgnathie. Das ausgeprägte Kinn und die vergrößerte Unterlippe ziehen sich wie ein roter Faden durch die Familie. Natürlich, denn die skelettale Kieferfehlstellung ist genetisch bedingt.
Hier erfahren Sie, warum das große Kinn nur eine Ausprägung der Prognathie ist, woran Sie sie noch erkennen, welche Probleme die Fehlstellung mit sich bringt und vor allem welche kieferorthopädischen Therapien es gibt.
Inhaltsverzeichnis
Das Wichtigste vorab
- Die Prognathie beschreibt das Vorstehen eines oder beider Kiefer
- Die Kieferfehlstellung wird den Dysgnathien zugeordnet, also den Fehlbissen, bei denen eine Veränderung der Position des Ober- und Unterkiefers zueinander vorliegt, welche die Funktion der Kiefer aber auch das Gesichtsprofil maßgeblich beeinflussen.
- Kinder können in den meisten Fällen konservativ, Erwachsene meist nur durch eine Operation in Kombination mit kieferorthopädischen Maßnahmen behandelt werden
Was ist unter einer Prognathie zu verstehen?
Als Prognathie bezeichnet die Kieferorthopädie das Hervorstehen eines Kiefers. Dabei ist es egal, ob die Fehlstellung den Unter- oder den Oberkiefer betrifft. Sie bildet damit die gegenteilige Diagnose zur Retrognathie, welche das Zurückstehen eines Kiefers beschreibt.
Die Ursachen einer Prognathie sind erblicher Natur und skelettal bedingt. Eine Prognathie entsteht durch ein übermäßiges Wachstum eines Kiefers, wodurch dieser im Verhältnis zum Gegenkiefer überproportional groß wird. Aber auch beide Kiefer können betroffen sein und durch massives Wachstum das Hervorstehen verursachen.
Der Kiefervorstand ist bei Betroffenen bereits äußerlich durch einen häufig erschwerten Lippenschluss und ein verändertes Gesichtsprofil leicht zu erkennen. Wissen Sie von einem solchen Erscheinungsbild in Ihrem familiären Umfeld, können Sie von einer erhöhten Wahrscheinlichkeit der Vererbung ausgehen und entsprechend frühzeitig Ihre Kinder bei einem Kieferorthopäden untersuchen lassen, um gegebenenfalls schnell eine Behandlung einzuleiten.
Welche Arten des vorstehenden Kiefers gibt es?
Ursprünglich wurde lediglich das Krankheitsbild des vorverlagerten, vergrößerten Oberkiefers als Prognathie bezeichnet. Auch heute noch wird der Begriff häufig synonym verwendet und für das Vorstehen des Unterkiefers der Einfachheit halber der Begriff der Progenie gesetzt.
Streng genommen ist diese Benamung jedoch nicht exakt. Denn während sich „Prognathie“ auf den Lateinischen Wortstamm „gnath“ (Kiefer) bezieht, nimmt „Progenie“ lediglich auf lateinisch „genio“ für Kinn Bezug. Da es sich bei einer Prognathie des Unterkiefers jedoch um eine massive Kieferfehlstellung und nicht bloß um ein hervorstehendes Kinn handelt, ist die Begrifflichkeit der Prognathie hier um einiges genauer. Auf dieser Begriffsebene werden die zwei Arten des Krankheitsbildes wie folgt unterschieden:
Die mandibuläre Prognathie
Die mandibuläre Ausprägung der Prognathie wird umgangssprachlich häufig Progenie genannt und beschreibt einen vorstehenden Unterkiefer. Ursächlich ist vorrangig eine Überentwicklung des unteren Kiefers im Vergleich zum oberen und eine damit verbundene Vorverlagerung dessen.
Diese Art der Prognathie ist um einiges seltener, als die maxilläre Ausprägung (s.u.) und genetischen Ursprungs. Neben einem besonders markanten Kinn weisen Patienten häufig auch folgende äußere Merkmale auf:
- stark ausgeprägte Unterlippe
- konkaves Gesichtsprofils
- ausgeprägte Nasolabialfalte
Normalerweise überragen die oberen Schneidezähne die unteren um 2 bis 3 Millimeter. Bei der mandibulären Prognathie ist der Zusammenbiss umgekehrt, es kommt zum sogenannten Mesialbiss bzw. einem Vorbiss der Angle-Klasse III. Die vorderen Höcker der ersten großen oberen Backenzähne beißen also hinter die ersten großen Backenzähne im Unterkiefer. Dabei können die unteren Schneidezähne ebenso vor die oberen Frontzähne beißen.
Die maxilläre Prognathie
Bei der maxillären Prognathie ist häufig nicht nur der Oberkiefer im Verhältnis zum Unterkiefer überproportional groß entwickelt. Oft spielt auch eine Kombination mit einer Unterentwicklung des Unterkiefers bzw. ein zurückstehender Unterkiefer eine Rolle.
Diese Prognathie-Ausprägung ist verhältnismäßig häufig zu beobachten. Man erkennt Patienten abgesehen von einer deutlichen Stufe zwischen den Schneidezahnreihen an folgenden Merkmalen:
- abgeflachtes Mittelgesicht
- eingefallene Oberlippe
Es kommt also zu einem Überbiss, auch als Angle-Klasse II beschrieben: Die vorderen Höcker der ersten beiden großen oberen Backzähne beißen vor die ersten großen Gegenspieler im Unterkiefer. Dieses Art des Zusammenbisses wird auch als Distalbiss bezeichnet.
Folgen einer Nichtbehandlung bei Prognathie
Fernab von dem veränderten äußeren Erscheinungsbild und dem auch für Außenstehende ganz offensichtlich erkennbaren Krankheitsbild sollte eine Prognathie auch aus medizinischer Sicht unbedingt kieferorthopädisch behandelt werden.
Bleibt diese Kieferfehlstellung unbehandelt, kann sie zu folgenden Beeinträchtigungen und äußeren Veränderungen führen:
- Sprachschwierigkeiten
- Kaubeschwerden
- Schmerzen im Kiefergelenk
- Schädigung im Schädelbereich
- beeinträchtigtes Gesichtsprofil (Konkaves Gesichtsprofil)
- Behinderte Nasenatmung
- Hervorstehendes Kinn
- Ausgeprägte Nasolabialfalte
Diese Folgen sind nur die primären, auf sekundärer Ebene können sie zudem weiter, teilweise noch problematischere Schäden mit sich bringen. So haben Probleme bei der Nahrungsaufnahme nicht selten Folgeerscheinungen wie Verdauungsbeschwerden, eine beeinträchtigte Atmung kann die Kondition, den Kreislauf und den Schlaf beeinflussen und natürlich kämpfen Patienten häufig mit psychischen Erkrankungen als Folge der äußerlichen Merkmale.
Behandlungsmethoden einer Prognathie
Wie bei allen kieferorthopädischen Krankheitsbildern ist es auch bei einer Prognathie besser, je früher sie behandelt wird. So können mögliche Folgeerkrankungen und -schäden minimiert oder sogar verhindert werden.
Durch die genetische Ursache kann eine Prognathie selbst zwar nicht vollständig verhindert werden, da sie dadurch aber auch prognostiziert bzw. entsprechend früh erkannt werden kann, sind die Heilungsaussichten verhältnismäßig gut, da mit der Therapie schnell eingesetzt werden kann. Denn auch bei dem Kiefervorstand gilt: Je eher die Behandlung begonnen wird, desto größer ist die Aussicht auf Erfolg.
Prognathie bei Kindern behandeln
Bei kieferorthopädischen Eingriffen und Behandlungen zählt: Je früher, desto besser, denn im Kindes- und Jugendalter kann sich häufig das Wachstum von Kiefern und Zähnen sogar bereits im Milchzahngebiss zunutze gemacht werden. Im Fall der Behandlung von Prognathie ist das auch so und gleichzeitig bringt das noch anhaltende Wachsen auch eine unsichere Komponente ins Spiel: Man weiß nie ganz genau, wie sich Kiefer und Gebiss des Patienten im Weiteren entwickeln werden.
Dennoch: Kinder und Jugendliche können bei allen Arten der Prognathie konservativ behandelt werden, insofern das Problem frühzeitig angegangen wird. Bei Kindern im Alter von 8 bis 13 Jahren kann eine Therapie sogar mit lockeren Zahnspangen, zum Beispiel einem Aktivator beginnen. Dieser wird genutzt um das Kieferwachstum positiv zu beeinflussen – also zu hemmen bzw. zu fördern. Somit kann in jungen Jahren das Missverhältnis von Ober- zu Unterkiefer relativ einfach minimiert oder sogar komplett harmonisiert werden.
Zu den effektivsten Prognathie-Behandlungen bei Kindern gehört die Declaire-Maske. Sie ist eine extra-orale Gesichts-Apparatur, liegt also teilweise außerhalb des Mundes, muss aber häufig nur nachts getragen werden. Sie dient in erster Linie dazu, einen zu weit vorne liegenden Kiefer nach hinten zu schieben.
Ist der Oberkiefer zu schmal kommt zusätzlich eine GNE-Zahnspange zum Einsatz. GNE steht für GaumenNahtErweiterung und bezeichnet eine festsitzende Apparatur in Form eines Kreuzes. Die vier Enden umspannen je einen Backenzahn, die Metall-Verstrebung liegt am Gaumen an und übt von innen Druck auf die Zahnreihen aus, wodurch der Oberkiefer geweitet wird.
Während das Wachstum des Oberkiefers mit neun Jahren weitestgehend abgeschlossen ist, wächst der Unterkiefer noch bis in die Pubertät weiter. Dies gilt es bei jeder Behandlung zu berücksichtigen. Sollte zusätzlich zur Kiefer- auch eine Zahnfehlstellung vorliegen, so wird diese nachgelagert oder parallel mit einer herausnehmbare oder festsitzenden Zahnspange behandelt.
Prognathie-Behandlung bei Erwachsenen
Bei erwachsenen Patienten ist das Wachstum bereits abgeschlossen, weshalb die bei der Behandlung im Kindesalter genannten Methoden alleinig keinen Behandlungserfolg erbringen würden. Hier hilft deshalb nur eine Kombination aus einer kieferorthopädischen Behandlung zur Korrektur der Zahnfehlstellung und einem kieferchirurgischen Eingriff gegen die Fehllage der Kiefer.
Bei der entsprechenden Operation wird der Unterkiefer zurückverlagert oder aber der Oberkiefer entsprechend nach vorne umgelagert – kurz: Die Kiefer werden in eine korrekte Position zueinander gesetzt. Wird nur ein Kiefer operiert, spricht man von einem mongnathen Eingriff, sind beide Kiefer betroffen ist die Operation bignath. Ob nur ein oder gleich beide Kiefer operativ angepasst werden, hängt vom Ausmaß der Fehlstellung ab.
Wann ist eine Kieferchirurgische OP notwendig?
Bei Kindern ist eine Operation bei einer Prognathie nur bei extrem starken Fehlstellungen von Nöten. Bei Erwachsenen kommt es jedoch häufig zu Operationen, da die Kieferfehlstellung selbst im ausgewachsenen Gebiss von Männern und Frauen nicht mehr alleinig konservativ behandelt werden kann.
Lediglich eine dentale Angleichung ist durch Zahnspangen erreichbar, die zugrundeliegende Fehlstellung der Kiefer kann jedoch nur durch kieferchirurgische Eingriffe erfolgen. Bei der Operation gibt es zwei Möglichkeiten: die Kiefervorverlagerung oder die Kieferrückverlagerung.
FAQ
Bei Kindern werden kieferorthopädische Behandlungen übernommen, sofern die Fehlstellungen mindestens in die Indikationsgruppe III einzuordnen sind. Da sowohl die mesiale als auch die distale Bisslage bereits in der KIG IV eingestuft wird, ist bis zum Alter von 18 Jahren eine Kostenübernahme bei Prognathie durch die Krankenkassen garantiert.
Bei Männern und Frauen im Erwachsenenalter sieht dies anders aus. Nur bei einem operativen Eingriff gibt es die Chance auf Kostenübernahme – da bei Erwachsenen jedoch meist eine OP nötig ist, ist diese ziemlich hoch.
Sind Sie privat versichert, ist die Kostenübernahme von Ihren individuellen Vertragsbedingen abhängig und muss im Einzelfall geprüft werden.
Bei einer Prognathie sind einer oder gar beide Kiefer deutlich vergrößert und stehen weiter nach vorne. Durch die kieferorthopädische bzw. -chirurgische Korrektur dieser Kieferfehlstellung ändert sich das Gesichtsprofil maßgeblich. Folgende äußerliche Merkmale einer Prognathie sind durch den Eingriff behandelbar:
– abgeflachtes Mittelgesicht bzw. konkaves Gesichtsprofils
– eingefallene Oberlippe bzw. stark ausgeprägte Unterlippe
– ausgeprägte Nasolabialfalte
Weitere durch die Prognathie auftretende Folgen sind Probleme beim Sprechen, Atmen und Kauen. Auch diese Erscheinungen sollten sich durch eine kieferorthopädische Therapie verbessern.